





Entäußerung und Ausgleich/
Es ist nicht leicht, Sabine Tress als Malerin gerecht zu werden. Ihr gestischer Malduktus rückt die Bilder in große Nähe zu einer Malereiauffassung, die den Malakt als eine Art natürlichen Prozess begreift, bei dem das malende Subjekt in der Lage ist, sich als Medium möglichst durchlässig zu machen, um ungefiltert und rein von äußeren Einflüssen das Innerste nach Außen strömen zu lassen. Malerei als authentischer Fingerabdruck einer eben nur der Malerei verpflichteten, genialischen Künstlerpersönlichkeit gehört zu den hartnäckigsten Mythen um Malerei, die ihre Faszination, ihr Geheimnis und ihre über den Marktwert hinausreichende Strahlkraft bis heute mitbestimmen. Die Frage ist aber, wie diese Topoi in eine Gegenwart zu übertragen sind, die nach Strukturalismus und Poststrukturalismus die unentrinnbare Determiniertheit jeder Geste, auch der malerischen, konstatiert und somit in großem Widerspruch zur Idee der malerischen Unmittelbarkeit steht.
Sabine Tress positioniert sich mit jeder einzelnen Arbeit im Spannungsfeld dieses Widerspruchs. Die Erforschung der malereiimmanenten Fragestellungen bildet dabei das unverzichtbare Rüstzeug. Bei dieser grundsätzlichen Auseinandersetzung mit den malerischen Mitteln spielt neben der Intensität gerade auch die Kontinuität über einen langen Zeitraum eine kaum hoch genug zu veranschlagende Rolle. Es ist nicht zu übersehen, welch ungeheuer reicher Formenschatz aus einer über 25-jährigen, nahezu täglich ausgeübten Malereipraxis nach Abschluss ihres Diploms an der Ecole nationale supérieure des Beaux-Arts de Paris in diesen Bildern mitschwingt. Der weite Erfahrungsspielraum ist die Grundlage für das kraftvolle wie sensible und originäre Zusammenspiel der Farben und Formen auf der Leinwand. Das Neue, Einzigartige und Unwiederholbare ist bei aller vermeintlichen Spontaneität ohne diese Grundvoraussetzung nicht denkbar.
Die künstlerische Praxis versteht sich hier als lebenslange Schule der Interaktion in jede nur denkbare Richtung. Da alles mit allem zusammenhängt, bedeutet das auf der materiellen Ebene die genaue Beobachtung der Reaktion der Pigmente mit dem Lösungsmittel, untereinander und je nach Grad der Verdünnung, der Beschaffenheit des Bildträgers, der jeweiligen Werkzeuge wie Pinsel oder eventueller weiterer Hilfsmittel wie gesprayte Farbe usw. Wenn sich auch für eine so betont gestische, aus transparenten Schichten aufgebaute Malweise die Acrylmalerei schon wegen der kurzen Trocknungszeiten anbietet, so können dennoch jederzeit die Karten neu gemischt werden, beispielsweise durch einen Wechsel zur Ölmalerei, wie in den Jahren 2013 - 2017 geschehen.1 So verdanken sich die hinzu gewonnene Einfachheit und Klarheit der neuesten Bilder größtenteils diesen im Umgang mit dem gezielteren und plastischeren Auftrag der Ölfarbe gemachten Erfahrungen, die in die jetzt wieder zurückgewonnene Acrylmalerei einflossen.
Von einem solch radikalen, die eigene Routine durchbrechenden Perspektivwechsel zwischen Öl- und Acrylmalerei abgesehen, macht sich Sabine Tress immer schon bestimmte chemische und physikalische Eigenschaften des Malmittels zunutze, um einer mechanischen Verselbständigung des Malprozesses entgegenzuwirken. Je nach dem Mischverhältnis von Pigment, Wasser und Bindemittel kommt es zu unkontrollierbaren Veränderungen in Konsistenz und Farbigkeit, die ganz bewusst dem Zufall einen Anteil an der Bildgestaltung einräumen. Ähnlich verhält es sich mit den Schlieren, Spuren von laufender Farbe und den glasurartigen und stark glänzenden Oberflächen. Einerseits steigern diese sich scheinbar aus sich selbst heraus generierenden Effekte den Eindruck eines Eigenlebens der Malerei. Andererseits bleibt der Blick an diesen haptischen und hoch sensitiven Oberflächen haften, deren Materialität an Haut und Körperlichkeit erinnern und die ein tieferes Eindringen als Gegenbewegung verhindern.
Eine Pendelbewegung zwischen der Eigendynamik der Malerei und der nicht minder dynamischen, zupackenden Geste des agierenden Subjekts setzt ein. Die Bewegungsmuster scheinen aufeinander zu reagieren und sich förmlich gegenseitig in Schach zu halten. So lässt sich zwar ein schichtweise aufgebauter Malereikörper ausmachen, aber der Blick in die Bildtiefe ist versperrt oder wie ausradiert. Auf die kreisende, sich aus der Fläche herausschraubende Bewegung folgt sogleich eine Gegenbewegung, die sie wieder in die Fläche zurückgebietet. Es lässt sich hier also weniger von einer grenzenlos sich verströmenden Entfaltung einer wie auch immer gearteten Subjektivität sprechen, als von einem stetigen Wechselspiel zwischen heftiger Entäußerung und ordnendem, beruhigendem Gegensteuern. Das Bildgeviert bemisst einen klar durch den Rahmen eingefassten und begrenzten Handlungs- und Aktionsradius, in dem sich äußerst vitalistische antagonistische Kräfte in einem spannungsgeladenen Gleichgewicht befinden.
Die Malerei wird zum Austragungsort dualistischer Prinzipien von Innen und Außen, Aktion und Beruhigung, Konzentration und Eruption. Innerhalb des Rahmens formuliert sich ein Geschehen, das aber nicht am Rahmen endet, sondern durch den fluktuierenden Austausch mit allem, was außerhalb davon stattfindet, befeuert wird. Dem Atelierraum kommt dabei eine herausragende Bedeutung zu. Als Pufferzone zwischen Kunst und Welt überschneiden sich hier die mitgebrachten Erfahrungen wie die Einflüsse des Sozialen, der wirtschaftlichen Zwänge oder des Kunstbetriebs mit den Insignien des intimen künstlerischen Refugiums. Der mit zahllosen Farbspuren besprenkelte Atelierboden ist so wenig wie die herumstehenden angefangenen oder fertigen Bilder, die bereitgestellten Leinwände, Farben, Pinsel und sonstigen Utensilien auf die Rolle einer pittoresken Randerscheinung zu reduzieren. In ihnen materialisiert sich die eigene künstlerische Existenz ebenso wie die Eingebundenheit in einer langen Tradition von Malerinnen und Malern. So könnte es auch schon im Atelier von XY ausgesehen haben! Insofern ist dieser Raum eine Schnittstelle zwischen Vergangenheit (der Malereitradition wie der eigenen Entwicklung) und Zukunft. Das Vergangene fließt in ihn ein und mündet in die Formulierung von etwas Neuem.
Im Zentrum dieser Schnittstelle befindet sich das Bild, das tatsächlich auf dem Boden liegend mitten im Raum platziert ist. Der Zugriff erfolgt nach einer leicht variierenden Choreographie, die Malen als gezielte Setzung aus der Bewegung heraus begreift. Es geht aber nicht um die Aneignung der Leinwand durch ein sich kontinuierlich ausbreitendes All Over, wie man sie in erster Linie mit Jackson Pollock assoziiert. Vielmehr sind auch hier wieder Gegensätze und Interaktionen am Werk. Sabine Tress hat in einem Gespräch sehr eindrücklich geschildert, wie wichtig es ist, sich den Atelierraum anzueignen, bevor sich die eigene Präsenz im Bild niederschlagen kann.2 Der Malakt wird zur Interaktion mit dem Raum, in der Einflüsse von außen – dazu gehört auch die Beschäftigung mit inspirierender Literatur wie beispielsweise dem zeitgenössischen Malereidiskurs, den Zeugnissen der Malerkolleg*innen etc. – in eine für den Malakt notwendige innere Spannung transformiert werden, die sich schließlich in einer malerischen Setzung entlädt. Die Bedeutung des Ateliers als identitätsstiftende Institution für die stets prekäre Selbstvergewisserung des Künstlerischen zeigt sich hier deutlich.
In den jüngst entstandenen Serien geht Sabine Tress noch einen Schritt weiter. Die Erfahrung mit dem Raum bleibt nicht auf einer einzigen Bildfläche stehen, sondern verteilt sich auf eine Reihe von Leinwänden gleichen Formats, so dass sich der Betrachter / die Betrachterin in einem von Bildern umfangenen Raum gleichsam als Zentrum eines Bildraums erlebt. Da die Einzelbilder ein tieferes Eindringen verweigern, andererseits sich aber in einer engen formalen Beziehung zueinander befinden, springt der Blick wie ein Pingpongball immer wieder vom Bild in den Raum und wieder zurück zum nächsten Bild, hin und her. Die räumlichen Verbindungslinien bilden ein feines Netz aus auf Kohärenz hinwirkende Energien, in dem sich die Eruptionen der einzelnen Setzungen ausgleichen. Die Erfahrung der Interaktionen zwischen den Formen, Chiffren und Farben innerhalb einer Leinwand lässt sich mühelos auf die Individuen innerhalb einer Gruppe und schließlich den gesamten Raum ausweiten, in dem sich die Abhängigkeit der Bilder als ständiges Aushandeln der eigenen Positionierung – als Künstlerin, Malerin, Atelierbesitzerin – widerspiegelt.
– Sabine Elsa Müller
1 „Ich wusste nicht mehr weiter, wie wenn sich etwas blockiert hat. Darauf bin ich dann zum Öl gewechselt, weil ich dachte, vielleicht kann ich das, was ich sagen will, besser in Öl ausdrücken, weil es da mehr um Materie geht, um Haptik. Ich habe das dann einige Jahre probiert und tatsächlich auch sehr dick gearbeitet, nicht so transparent, verdünnt.“ (Sabine Tress im Gespräch mit der Autorin am 29.02.2020)
2 „Ich warte auf den richtigen Zeitpunkt, den Einsatz. Das ist wie so ein Signal, jetzt bin ich hier, jetzt bin ich richtig im Raum, jetzt bin ich angekommen. Irgendwann ist die Spannung zu stark, die sich darauf aufbaut, den ganzen Tag hier im Atelier zu verbringen, in einer Semi-Einsamkeit. Dann kommt dieser Druck und ich merke, jetzt musst du was machen. Du musst dich bewegen.“ (ebda.)
Externalization and Compensation/
It is not easy to do justice to Sabine Tress as a painter. Her gestural painting style brings the work very close to a conception of painting that understands the act of painting as a kind of natural process. The painting subject is able to make itself as permeable as possible as a medium in order to allow the inner-core to flow outward, unfiltered and pure of external influ-ences. Painting as the authentic fingerprint of a genial artist personality committed to painting alone is one of the most stubborn myths surrounding painting, and one that continues to de-termine its fascination, mystery, and radiance beyond its market value to this day. The question is, however, how these topoi can be transferred to a present that, after structuralism and post-structuralism, states the inescapable determinacy of every gesture, including the painterly one, and thus stands in great contradiction to the idea of painterly immediacy. With every single work, Sabine Tress positions herself in this contradiction's field of tension. The exploration of the inherent questions of painting forms the indispensable armamentarium. In this fundamental examination of the painterly means, it is not only the intensity but also the continuity over a long period of time that plays a role that can hardly be overestimated. The rich treasure trove of forms resonating in over 25 years of paintings cannot be overlooked; an al-most daily painting practice after the completion of her degree at the Ecole nationale supérieu-re des Beaux-Arts de Paris. The wide scope of experience is the basis for the powerful as well as sensitive and original interplay of colors and forms on the canvas. The new, unique and un-repeatable, for all its supposed spontaneity, is inconceivable without this basic prerequisite. The artistic practice is understood here as a lifelong school of interaction in every conceivable direction. Given that everything is connected with everything else, one must precisely observe reactions on the material level over time. The reaction of pigments with solvent, with each other, the nature of the image’s medium (depending on the degree of dilution of course), re-spective tools such as brushes or any other aids like sprayed paint, etc., and acrylic as an em-phatic gestural painting method built up of transparent layers due to its short drying time— it can all still be reshuffled at any time like cards from a deck. Everything could be switched, like to oil painting for example, as it precisely happened for Tress from 2013 - 2017.Thus, the ad1 -ded simplicity and clarity of the latest paintings are largely due to these experiences made in dealing with the more targeted and more plastic application of oil paint, which flowed into the now reclaimed acrylic paintings. Apart from such a radical change of perspective between oil and acrylic painting that breaks through one's own routine, Sabine Tress has always made use of certain chemical and physical properties of the painting medium in order to counteract a mechanical independence of the painting process. Depending on the mixing ratio of pigment, water and binder, there are uncon-trollable changes in consistency and colorfulness, which quite deliberately allow chance to play a part in shaping the image. The situation is similar with the streaks, traces of running paint, and the glaze-like and highly glossy surfaces. On the one hand, these effects, which seem to generate themselves, increase the impression of a painting's own life. On the other hand, the eye remains glued to these haptic and highly sensitive surfaces, whose materiality is reminis-cent of skin and corporeality and which prevent deeper penetration as a countermovement.
A pendulum-like movement between the momentum of painting and the equally dynamic and gripping gesture of the acting subject sets in. The patterns of movement seem to react to each other and literally keep each other in check. Thus, although a layered body of painting can be discerned, the view into the depth of the picture is blocked or erased. The circling movement, which screws itself out of the surface, is immediately followed by a counter-movement that commands it back into the surface. Here we are not speaking of a boundless unfolding of subjectivity of whatever kind, but rather of a constant interplay between fierce expression and orderly, calming counter-steering. The painting's frame measures a clearly enclosed and limited radius of action and activity, in which extremely vitalistic antagonistic forces are in a tensionfilled equilibrium. Painting becomes the venue for dualistic principles of inside and outside, action and tranquillity, concentration and eruption. Within the frame, an event is formulated that does not end at the frame, but is fueled by the fluctuating exchange with everything that takes place outside of it. The studio space plays a prominent role in this process. As a buffer zone between art and the world, it is here that the experiences one brings with oneself, such as the influences of the socio-economic constraints or of the art world, overlap with the insignia of intimate artistic refuge. The studio floor, speckled with countless traces of paint, can no more be reduced to the role of a picturesque peripheral phenomenon as the paintings standing around, whether begun or finished, the canvases, paints, brushes, and other utensils provided. In them, one's own artistic existence materializes, as does one's integration into a long tradition of painters. It could have looked like this in XY's studio! In this respect, this room is an interface between the past (the tradition of painting as well as one's own development) and the future. The past flows into it and flows into the formulation of something new. At the center of this interface is the painting, which is actually placed lying on the floor in the middle of the room. Access takes place according to a slightly varying choreography that understands painting as a deliberate setting out of movement. However, it is not a matter of appropriating the canvas through a continual spreading, as one primarily associates with Jackson Pollock. Rather, contrasts and interactions are again at work here. Sabine Tress impressively described in conversation how important it is to appropriate the studio space prior to one's own presence being reflected in the painting.2 The act of painting becomes an interaction with the space, in which influences from outside - including the study of inspiring literature such as contemporary painting discourse, the testimonies of fellow painters, etc. - are transformed into an inner tension necessary for the act of painting, which is ultimately released in a painterly setting. The significance of the studio as an identity-forming institution for the always precarious self-assurance of the artistic is clearly evident.
In her most recent series Sabine Tress goes one step further. The experience with space does not stop at a single painting surface, but is distributed over a series of canvases of the same format, so that the viewer experiences themselves as the center of a pictorial space, as it were, in a room surrounded by images. Since the individual pictures refuse to penetrate deeper, but are on the other hand in a close formal relationship to each other, the viewer's gaze jumps back and forth again and again, like a ping-pong ball, from the picture into the room and back again to the next picture. The spatial connecting lines form a fine network of energies working towards coherence, in which the eruptions of the individual settings balance each other out. The experience of the interactions between the forms, codes and colors within a canvas can be effortlessly extended to the individuals within a group and finally to the entire space, in which the dependence of the paintings is reflected as a constant negotiation of one's own positioning - as artist, painter, studio owner.
– Sabine Elsa Müller
translated by Jessica Gispert
1 "I didn't know what to do anymore, as if something had become blocked. Then I switched to oil, because I thought, maybe I can express what I want to say better in oil, because it's more about matter, about haptics. I then tried that for a few years and actually also worked very densely, not so transparently, diluted." (Sabine Tress in conversation with the author on 29.02.2020)
2 "I'm waiting for the right moment, the cue. It's like a beacon, now I'm here, now I'm really in the room, now I've arrived. At some point the tension is too strong, built up on spending the whole day here in the studio, in a state of semi-loneliness. Then this pressure comes and I realize, now you have to do something. You have to move." (ibid.)